P A C K E I S Dagmar Wabnig Huuuuuuuu, huuuuu.... erschreckt fahre ich aus dem Schlaf auf. Was ist denn das für ein Heulen? Der Wind kann es nicht sein. An das Heulen des Windes habe ich mich schon gewöhnt. Das ist anders. Aber was ist das für ein Geräusch? Schlaftrunken und vor Kälte zitternd, es hat heute sicher wieder - 30 ° unter Null, klettere ich aus dem Zelt. Der Wind pfeift wie gewöhnlich aus Nord und treibt Schneefahnen vor sich her. Aber dieses Geräusch? Und schon wieder: huuuuuu, huuuuu... wie eine Feuerwehrsirene. Auch die anderen von unserer Gruppe, die Teilnehmer der ersten österreichischen Schiexpedition zum Nordpol, sind auch schon aus den, nicht Federn, sondern Holofillfaser Schlafsäcken gekrochen. Wir blicken um unsere Lager und sehen, dass die riesige Wasserfläche, die sich gestern abends, als wir unser Lager aufbauten, links von uns erstreckt hat, geschlossen ist. Dafür aber hat sich rechts von uns ein offener Wasserlauf gebildet und durch die Gewalt der Drift werden Eisschollen über Eisschollen geschoben und das ist des Rätsels Lösung, die Ursache des unheimlichen HUUUUUUUUUUUUU. Wir sind nun schon den 3. Tag am Packeis des Nordpols unterwegs. Angefangen hat das Ganze in Österreich, wo in der Alpenvereinszeitung die "1. Österreichische Nordpolexpedition - Austropol" ausgeschrieben wurde, veranstaltet von der OeAV Bergsteigerschule Globetrek in Innsbruck. Nach längerem Zögern, ich war gerade erst aus dem Himalaja zurückgekommen, wo Höhenstürme und die Verkettung unglücklicher Umstände uns daran gehindert hatten, den Gipfel des Everest zu ersteigen, habe ich ein Anmeldeformular abgeschickt und prompt eine Absage bekommen. "Die Expedition sei doppelt überbucht und es gäbe leider keine Möglichkeit im kommenden Frühjahr daran teilzunehmen." Pech - aber da kann man nichts machen. Im Jänner dann, wieder ein Lebenszeichen: "Ob ich noch interessiert an einer Teilnahme sei? "." Ja, natürlich " meine Antwort. Und dann nach den ersten Qualifikationsschitouren und nach einigen Telefonaten und Treffen war es soweit: ich konnte als einzige Frau mit 13 Männern an dieser Expedition teilnehmen. Die Leitung und Organisation hatte Mag.Christoph Höbenreich, der schon vorher in arktischen Gefilden als Bergführer mit dem Filmteam des ORF beim Projekt " Arktis Nord-Ost" mit war. Dann war da noch mein Zeltpartner, Dr. Gerhard Schuhmann, Augenarzt aus Graz, aus Vorarlberg: Konrad (Vater) und Martin Dorner (Elektronikexperte und Medizinstudent), Hansjörg Klotz - Alpinreferent des ÖAV, Malin Karl - Bergführer und Landesbediensteter, Lichtenegger Franz - Sportartikelhändler aus Bad Goisern, aus der Steiermark: Markus Raich - aus Bad Aussee, Franz Asböck - Politsekretär aus Knittelfeld, Manfred Schörkl, Maurer aus Gröbming, Gschwandtner Rudolf - Sägewerksbesitzer aus Oberösterreich und schließlich aus Kärnten: Johann Müller - Volksschullehrer und Dichter aus Rennweg und meine Wenigkeit. Wir lernten uns alle bei einem Treffen in Bad Goisern kennen, wo wir auch gleich die Ausrüstung diskutierten und ergänzten und ich die Expeditionsteilnehmer gegen Diphtherie - Tetanus, Kinderlähmung und Hepatitis impfte und medizinische Ratschläge gab. Am 11. 4 1997 war es schließlich soweit. Aus allen Teilen Österreichs reisten wir nach Wien -Schwechat, von wo der Flug nach Petersburg ging. In Wien stieß auch noch Dr. Hubert Messner, der Bruder von Reinhold, zu uns, der im Vorjahr gescheitert war und nun neues Material testen wollte. Auffällig, war gleich nach dem Aussteigen in Petersburg sein riesiger gelber Schlitten, der auf Rollen lief. In Petersburg haben uns schon die Russen: Dr. Victor Serov - unsere Begleiter - Geophysiker mit jahrelanger Erfahrung am Nord- und Südpol, und Dr. Victor Boyarsky - Glaziologe und Direktor des arktischen Institutes in Petersberg, der ebenfalls mit uns mitging, erwartet. Victor Boyarsky ist vielleicht einigen bekannt, als russischer Teilnehmer der Transantarktis -Expedition von Will Steger, mit dem er dann auch mit Hundeschlitten die Arktis durchquerte. Wir waren also in den besten Händen. Nach einer Stadtbesichtigung wurde das Gepäck sortiert und wir mussten eine Erklärung unterschreiben, dass wir über die Gefahren einer Nordpolexpedition aufgeklärt worden sind. Abends dann eine köstliches Abendessen mit Salaten, Fischen, Fleisch und natürlich Wodka und Krimsekt. Mitten in der Nacht dann zum Flughafen, wo gleich, angesichts unserer riesigen Gepäckberge die große Panik ausbrach. Es wurde telefoniert und telefoniert bis schließlich der General auf den Plan trat und nach Umarmungen mit Victor und etlichem Palaver wurde plötzlich die Fahne der Fluggesellschaft ausgerollt, ein Gruppenfoto gemacht und wir hatten einen Sponsor. Über Norilsk, einem völlig trostlosen Flughafen in Sibirien, wo wir in eine Transportmaschine umsteigen mussten, flogen wir nach Chatanga - unserem Ausgangspunkt am Festland. Dies ist wohl die trostloseste Stadt, die ich in meine Leben gesehen habe. Permafrostböden, monatelange Finsternis, Kälte, Einsamkeit, dazu ein Fernheizwerk, dass ungeheuerliche Wolken an Staub und Ruß ausstößt und so ist alles schwarz: der Schnee, die Häuser, die Kinder und die Hunde, die sich rudelweise auf den gatschigen Straßen umher treiben. Es gibt auch einen Hafen hier, aber der ist im Winter zugefroren und nur der Steg aus Eis führt zu den eingefrorenen Schiffen, hinter denen wir die sibirische Sonne blutrot untergehen sahen. Aber dann begann der Ernst der Sache. Mit einer Antonow Maschine, die auf kürzesten Pisten landen und starten kann flogen wir zum Eiscamp, das die Russen auf etwa 89 ° Nord eingerichtet hatten. Nach einigen Stunden Flugdauer landeten wir dann und befanden uns mitten in der arktischen Eiswüste. Sie zeigt sich uns aber versöhnlich, heiter mit Sonnenschein, und nur - 26 °C. Das Gepäck wurde ausgeladen, Zelte aufgebaut, die Kocher erstmals gestartet - wir hatten Benzinkocher - und Kontakte zu den Eiscampbewohnern geknüpft. Hier befand sich auch die Betreuungsmannschaft von Christine Janine, der französischen Ärztin, die mit einem russischen Begleiter vom Festland zum Nordpol unterwegs war. Am nächsten Tag Aufbruch und los ging es mit den schweren Schlitten im Schlepptau. Allmählich fand jeder seinen Rhythmus, es ging bergauf und bergab über die gewellte Eisfläche, die Sonne stand am Himmel und ein leises Lüftchen kam aus Ost. Hubert meinte:' Was für ein schöner Arktistag!' Ich dachte:' Was der nur zusammen redet.' Jetzt weiß ich, dass sich die Arktis uns am ersten Tag tatsächlich von ihrer mildesten Seite zeigte. Denn schon am zweiten Tag mussten wir stundenlang entlang offener Wasserflächen wandern, und am 3. Tag begann das Heulen der Eisschollen. Aber noch lange nicht hatte das Packeis sein Repertoire erschöpft! Bergauf und bergab ging es über Eisauftürmungen, wo wir Treppen bauen mussten, damit wir darüber kamen, über glatte, frisch gefrorene Salzseen, wo das Eis klebte wie Kaugummi und man mit dem Schlitten kaum weiterkam. Immer wieder mussten wir Wege suchen, um offene Wasserstellen zu umgehen und auszuweichen und wenn gar nichts mehr half, musste Huberts Schlitten herhalten und als Fährschiff dienen. Aber nicht nur das Packeis zeigt sich von allen Schattierungen, nein, auch der Wettergott glaubte, zu unserer Unterhaltung beitragen zu müssen, indem er uns am 4. Tag einen ordentliche Schneesturm schickte, der an den Zelten riss und rüttelte und ein Weiterkommen unmöglich machte. Auch am 4. Tag tobte der Nordwind. Wir verhüllten unsere Gesichter in Neoprenmasken, Sturmhauben, Kapuzen. Unsere Tränen gefroren an den Wimpern zu Eiszapfen, unser Atem wurde in der Maske zu Eis und unsere Gesichter lagen unter einem Eispanzer. Die Finger mussten unter 3 Paar Handschuhen dauernd bewegt werden und trotzdem gab es Erfrierungsblasen an den Fingern. Und dann hieß es gehen, gehen, gehen. Und man ging gerne. Man schleppte gerne den schweren Schlitten und plagt sich ab. Denn nach 5 Minuten Pause kroch die Kälte durch die 3 Paar Schichten aus Funktionsunterwäsche, Fliess und Goretex und auch die Daunenjacke half nichts mehr. Man fing zu zittern an und die Zähne klapperten. Also : wieder den Schlitten umgeschnallt, wieder die Schi angeschnallt und dahin über Eis und Schnee. Abends dann begann der Stress des Zeltaufbaus. Die Zelte mussten gesichert werden, damit sie der Wind nicht davon blies, dann das mühsame Zusammenstecken der Zeltstangen, bei denen der Gummi immer länger wurde und schließlich das Anwerfen des Kochers. Glücklich kroch man dann in die Spezialschlafsäcke und begann den Schnee aufzutauen, Suppe, Nudeln oder Reis zu kochen und zum Abschluss einen Capuccino und zur Krönung des Abends ein Schluck Whisky. Morgens dann wieder die gleiche Prozedur: Schneeschmelzen, Tee kochen für die Thermosflasche, Müsli essen, Brot und Speck rösten, war ja alles steinhart gefroren. Dann wieder Schlafsack einpacken, Zelt abreißen, Schlitten packen und irgendwann einmal, ja irgendwann, wenn es gar nicht mehr anders ging, sucht man eine kleine Schneewehe, hielt den Atem an, entblößte den Allerwertesten und verrichtete das, was die Natur forderte. Dabei pfiff der Wind um den Hintern und man tummelte sich, so schnell es ging. Nicht so Victor Boyarsky. Während wir anderen alle zitterten vor Kälte, machte er seine allmorgendliche Wäsche, zog sich aus und rieb seinen Körper mit Schnee ab - man nennt dies wohl Überlebenstraining oder ist er ein Abkömmling der Eisbären? Wohl hatten wir Gewehre zur Abwehr gegen diesen König der Arktis mit, aber er pflegte wohl noch seinen Winterschlaf, so dass wir keinen zu Gesicht bekamen oder waren wir ihm ein zuwenig schmackhaftes Futter? Jedenfalls war der einzige Eisbär, den wir sahen im arktischen Museum und der ließ sich sogar von mir am Kopf streicheln! Die Arktis zeigt uns jedenfalls 10 Tage ihr grimmiges Gesicht und obwohl die Sonne 24 Stunden am Himmel stand - sofern man sie hinter den Wolken überhaupt sah - und es nie finster wurde, war es immer kalt. So um die - 30 - 35 ° C und bei dem Wind der ging, so um die 30 km /h ergab dies auf Grund des Chillfaktors Temperaturen auf der Haut, wie - 50° - -60 ° C. Einige Tage, bevor wir den Nordpol erreichten, hörten wir auch ein Flugzeug und Hubschrauber - das war die Fallschirmspringer die über dem Nordpol abgesprungen sind, dort landeten und dann von den Hubschraubern wieder zum Eiscamp zurückgeflogen wurden. Viele dachten: schön wäre es, zurückzufliegen und wieder in der Wärme zu sein. Aber unser Ziel war noch nicht erreicht! Schließlich am 25.4. waren wir auf 89° 59 ' 59'' Nord - der Nordpol!!. Der nördlichste Punkt der Erde war erreicht. Wir konnten mit einer Körperdrehung rund um die Erde gehen! Glücklich stellten wir ein Zelt auf, strichen Kaviarbrötchen, öffneten die Sekt - und Wodkaflaschen und feierten die Ankunft an unserem Ziel!! Natürlich wurden viele Bilder gemacht. Bei einigen hatte allerdings die Kamera wegen der Kälte schon vorher den Geist aufgegeben und nur die mechanischen Kameras, die am Körper getragen wurden taten noch ihren Dienst. Zurück ging es dann mit dem Hubschrauber und, nach kurzem Aufenthalt am Eiscamp per Flugzeug nach Chatanga, wo wir nochmals die russische Gastlichkeit und Herzlichkeit kennen lernten. Und heute, welche Bilder stehen mir vor Augen? Welche Erinnerungen werden wach? Die glitzernde Sonne in einem offenen Leed, das Heulen der Eisschollen und die Eistürme, die endlose Weite, die doch nicht überschaubar ist, der eisige Nordwind, der alles gefrieren lässt, der sanfte Ostwind, der an den Frühling gemahnt, das Gefühl der Gefahr und der ungeheuren Naturgewalt, das von dieser gigantischen Eisscholle ausströmt, auf der wir uns 12 Tage Richtung 90 ° Nord bewegt haben - ein unvergessliches Abenteuer im Packeis der Arktis. 1